Der Wiener Neustädter Kanal ist ein wahres Meisterwerk der Ingenieursbaukunst des frühen industriellen Zeitalters. Dieser sollte ursprünglich eine Verbindung von Wien bis zur Adria bilden: Letztendlich war dies durch die Erfindung und wirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahn nicht mehr erforderlich.
Der Wiener Neustädter Kanal
Der Wiener Neustädter Kanal wurde zwischen 1797 und 1811 errichtet. Der Kanal sollte die Hauptstadt mit Kohle, Holz, Ziegeln und anderen, in Massen schwer auf Straßen zu transportierenden Materialien versorgen. Der Transport erfolgte mit 23 Meter langen Holzkähnen, die von Pferden gezogen wurden. Logistisch war das natürlich sehr aufwändig. Die Pferde mussten geführt, gefüttert und regelmäßig ausgetauscht werden. Eigentliches Ziel war die Wasserverbindung von Wien mit dem Mittelmeer. Die Möglichkeit von Kottingbrunn aus mit einem Boot gar bis Triest zu schippern gibt es nicht und gab es leider auch nie, da die anfänglichen Pläne für den Kanal nie durchgeführt werden konnten. Der Kanal war bis 1879 zwischen Wien und Wiener Neustadt in Betrieb. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Eisenbahn die Transportfunktion schon längstens übernommen und konnte an Effizienz und Geschwindigkeit nicht mehr übertroffen werden. Einige Abschnitte des Kanals wurden wieder verschüttet. Von Laxenburg bis Wiener Neustadt erstreckt sich aber heute entlang des Kanals ein beliebter Radweg. Viele alte Brücken und Schleusen zeugen heute noch von den harten Arbeitsbedingungen von Menschen und Pferd.
Die Steinkohlevorkommen bei Wiener Neustadt, der steigende Kohlebedarf der Residenzstadt Wien und die heillos mit Pferdegespannen überlasteten Straßen brachten den Großhändler Bernhard Edler von Tschoffen 1794 auf die Idee, einen Schifffahrtkanal nach englischem Vorbild zu bauen.
Die technischen Vorbereitungen des Bauvorhabens eines schiffbaren Kanals von Wien bis zur Adria wurden dem k.k. General Feldmarschall Leutnant Sebastian von Maillard übergeben.
1791 |
Gründung der "Wienerisch Neustädter Steinkohlengewerkschaft", Pacht des Ödenburger Brennberges und Abbau der Braunkohle |
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1795 |
Der k.k. General Feldmarschall Leutnant Sebastian von Maillard erhält von Kaiser Franz II. persönlich den Auftrag, mit den technischen Vorarbeiten zu beginnen. |
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1796 |
Namensänderung auf „k.k. priv. Steinkohlen & Canalbau A.G.“ |
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1797 |
Beginn der Bauarbeiten mit der Errichtung der Dreifachschleuse bei Guntramsdorf. Neben Maillard sind Hauptmann Johann von Swoboda (Professor an der MILAK Wiener Neustadt) und Joseph von Schemerl für die einzelnen Bauabschnitte verantwortlich. |
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1799 |
Maillard wird wegen ständiger Konflikte mit den Auftraggebern entlassen, Schemerl wird mit der Bauleitung beauftragt. |
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1801 |
Schemerl lässt einen provisorischen Zufluss aus der Piesting errichten, so können die fertigen Teilstücke erstmals befüllt werden. Es arbeiten mehr als 1200 Menschen am Bau, zeitweise auch Sträflinge in Ketten. Die Fuhrwerker sträuben sich gegen den Bau, ihr Geschäft ist gefährdet. Ein Fuhrwerk, gezogen von zwei Pferden, schafft gerade 2 Tonnen Fracht. Die 23 Meter langen und ab 1850 2,3 Meter breiten Kähne schaffen aber bis zu 30 Tonnen, gezogen von nur einem Pferd mit ca. 4 km/h. Die Baukosten erhöhen sich durch viele Schwierigkeiten, vor allem durch Undichtheit verursachten Wasserverlust von veranschlagten 3,7 Mio. auf 11 Millionen Gulden. |
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1802 |
Der kaiserliche Hof bringt die Baukosten fast alleine auf, der Kanal wird schrittweise in den Staatsbesitz überführt. |
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1803 |
Fertigstellung der Strecke Wien nach Wiener Neustadt. Am 12. und 13. Mai erfolgt die Eröffnungsfahrt auf dem schiffbaren Wiener Canal. Diese beginnt beim Kanalhafen zwischen Wienfluss und Invalidenhaus (heutiger Bahnhof Wien Mitte) und endet in Wiener Neustadt (Ungartor). Die Hafenbecken sind gerade so breit, dass links und rechts be- und entladen werden und dazwischen gefahren werden kann. Die Kähne werden nicht gewendet, sie können in beiden Richtungen fahren. Das Gefälle von 100 Metern wird durch 45 Schleusen (50 Schleusenkammern) überwunden, der Kanal ist in 46 Abschnitte eingeteilt. Die Spiegelbreite des Kanals betrugt 11 Meter, die Sohlenbreite 5,7 Meter und die Tiefe variiert zwischen 1,7 und 1,9 Metern. Zur Überquerung von Fluss- und Bachläufen (z.B. Triesting, Schwechat,...) werden Aquädukte, meist aus Holz, errichtet. Ein 2,5 Meter breiter Treppelweg für die Zugtiere begleitet den Kanal. Die Speisung erfolgt durch Piesting, Triesting, Schwechat und den Kehrbach. Anfangs verkehren nur 4 Kähne. |
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1804 |
verkehren bereits 55 Kähne |
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1805 |
werden bei 2103 Fahrten 42.000 Tonnen Fracht befördert. |
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1811 |
Verlängerung bis Pöttsching. Zum weiteren Ausbau, wie geplant bis zur Adria, kommt es nicht mehr. |
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1819 |
Der Kanal ist eine große Belastung für die Staatsfinanzen und wird 1822 an Moritz von Fries, Bankier und Fabrikant, verpachtet. Es folgen in rascher Folge mehrere Pächter. |
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1848 |
Der Kanal wird in Wien bis zum Rennweg verkürzt. |
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1869 |
Verkauf an die "Erste österreichische Schifffahrts-Canal-Actien-Gesellschaft" |
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1879 |
Durch die Entwicklung der Eisenbahn verliert der Kanal seine wirtschaftliche Bedeutung vollkommen. Die Lastenschifffahrt wird eingestellt. Heute beginnt der Kanal beim Kraftwerk Ungarfeld in Wiener Neustadt und endet wenige hundert Meter nach dem Bahnhof Laxenburg, um dort in den Mödlingbach zu münden. Die verbliebenen 36 km, heute im Besitz des Landes Niederösterreich, werden zum Industriedenkmal erklärt. Von den 1935/36 an den Schleusen errichteten 13 Kleinkraftwerken existieren noch 7 und liefern ca. 600.000 kWh ins Wiener Netz.
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Quelle: Joachim Künzel - Von Einst in Jetzt 2010